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09 TITELTHEMA Demut in diesem Sinne ist eine Haltung, die das Leben sieht, wie es ist; eine Haltung, die darum weiß, dass Leben Sterben-müssen bedeutet. Zudem hat mich nicht nur der Tod, sondern auch das Leben meines Freundes gelehrt, was Demut heißt: nämlich das Leben so zu nehmen, wie es ist, und es trotz aller Krankheit und Krisenzeiten zu genießen, es zu gestalten und mit Ho nung und Freude anzureichern. Er war ein sehr dankbarer Mensch, der mir sehr deutlich vor Augen geführt hat, dass im Leben nichts selbstverständlich ist. Umso mehr gilt es, dankbar zu sein für das, was mir das Leben schenkt. Dankbar sein für das Geschenk der Liebe und der Freundscha , in Gelassenheit dankbar sein für die Geschenke des Lebens – und mit einem Lächeln den Weg des Lebens gehen, bis zum Tod. Demütig hat er seinen Tod gestaltet – und so wollte er auch eine schlichte und einfache, eine bescheidene Beerdigung. Demut hat mit einem Maß an Bescheidenheit zu tun und bedeutet, das Geschenk des Lebens anzunehmen. Selbst-Akzeptanz, nicht Selbst-Überhebung Demut ist eine Haltung und eine Tugend, die hil , das Leben, das Sterben und den Tod zu gestalten. Demut, so sagte es der eologe Johannes Chrysostomus im vierten Jahrhundert nach Christus, ist die Mutter aller Tugenden. Sie nimmt das Leben in all seinen Facetten ernst, gestaltet es, weiß aber auch darum, dass vieles nur Stückwerk bleibt, dass der Mensch vieles nicht aus sich selbst heraus leisten kann, dass niemand vollkommen ist – und dass das Leben eben so ist, wie es ist. In der Benediktsregel, geschrieben im sechsten Jahrhundert nach Christus, nimmt die Demut einen großen Raum Demut Bin ich dankbar für das, was mir das Leben schenkt? Bin ich im Alltag und am Ende des Lebens bereit, loszulassen? Wie verhalte ich mich Gott gegenüber? Wie Demut zu einem gelingenden Leben beitragen kann. Seit längerem schon begleitet mich die Demut in meinen Kursen und Workshops zum ema „Leadership und Spiritualität“. Doch ich glaube, ich habe erst so richtig verstanden, was Demut existentiell meint, als ich in diesem Jahr meinen besten Freund in den Tod begleitet habe. Er ist bewusst gestorben, und noch am Tag vor seinem Tod hat er gelächelt. Er hat ihn geplant, seinen Tod. Auch wenn es sehr schmerzha war, so bin ich doch ungeheuer dankbar, diese Tage mit ihm erlebt zu haben. Mit einem Male habe ich gespürt, was Leben heißt: nämlich abgeben zu können, sich zu überlassen, den Tod zu akzeptieren, weil er zum Leben gehört. Ich kann ihn nicht bekämpfen, er wird mich einholen, hartnäckig, und einmal auch an meine Tür klopfen und mich fragen: Es ist so weit, bist Du bereit? Das zu erkennen und zu akzeptieren, so zu leben und so zu sterben, das hat für mich ganz viel mit Demut zu tun. Ich bin sterblich und damit endlich, wir alle sind es. Das Sterben und der Tod gehören zum Leben. Und so viele vor mir sind gestorben, so viele nach mir werden sterben. Ich reihe mich ein. Ich bin einer von Milliarden, ganz klein in meinem bescheidenen Universum. Das macht mich demütig. Eine jahrtausendealte Menschheitsgeschichte liegt bereits hinter uns. Entwicklungen und Fortschritt, und es wird weitergehen nach meinem Tod, ohne mich. Das Leben und Sterben annehmen Eine andere Erfahrung im Zusammenhang mit dem Sterben meines Freundes war die Erkenntnis, dass ich auch ihn gehen lassen muss. Ich musste loslassen. Demut hat mit Loslassen zu tun. 8 TEXT: BR. THOMAS DIENBERG > FOTO: KENZIE KRAFT/UNSPLASH _WINTER 2023

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