Interview

FOTO: KAPUZINER/RAUSER

BR. MARINUS PARZINGER

lebt als Kapu­zi­ner am Wall­fahrts­ort Alt­öt­ting in Bay­ern. Dort ist er für die Kapu­zi­ner-Gemein­schaft ver­ant­wort­lich. Br. Mari­nus wur­de 1963 in Frei­las­sing gebo­ren und trat 1987 in den Kapu­zi­ner­or­den ein. 1994 wur­de er zum Pries­ter geweiht.

29. Juli 2024

„Viktrizius Weiß ist ein Vorbild“

Die Kapu­zi­ner Vik­tri­zi­us Weiß und Kon­rad von Par­zham kann­ten sich per­sön­lich. Ein Gespräch mit Br. Mari­nus Par­zin­ger über die Ver­bin­dung zwi­schen den Ordens­leu­ten und den Selig­spre­chungs­pro­zess von Vik­tri­zi­us Weiß.

In wel­cher Zeit leb­te der Kapu­zi­ner Vik­tri­zi­us Weiß?
Es war eine Zeit des Um- und Auf­bru­ches, die von Säku­la­ri­sie­rung, einer Kri­se in Kir­che und Orden und der indus­tri­el­len Revo­lu­ti­on geprägt war. Das alles hat gesell­schaft­lich sehr viel in Bewe­gung gebracht. Bay­ern war zu der Zeit länd­lich geprägt, es gab vie­le kin­der­rei­che Fami­li­en. Vik­tri­zi­us Weiß hat­te es in die­ser Zeit eher gut erwischt: Sein Vater war Arzt, der ins­ge­samt 15 Kin­der hat­te. Eini­ge sind im Kin­des­al­ter ver­stor­ben, sechs haben stu­die­ren kön­nen und eine gute Schul­bil­dung erhal­ten. Eine sei­ner Schwes­tern war Ordens­obe­rin. Vik­tri­zi­us‘ Mut­ter war sehr begabt und prä­sent im Leben des jun­gen Vik­tri­zi­us. Sie hat ihm das Reli­giö­se vermittelt.

Waren Poli­tik und die Fra­gen der Zeit prä­gend für sei­nen Werdegang?
Es gibt da recht wenig in den Quel­len. Aber er war schon sehr auf das Klos­ter fokus­siert. Er hat sich der Welt nicht völ­lig ent­zo­gen, aber er hat­te – ähn­lich wie Bru­der Kon­rad – einen Blick fürs Tran­szen­den­te. Den­noch muss man sagen: Er muss schon auch sehr rea­lis­tisch und pra­xis­ori­en­tiert gewe­sen sein, denn sonst hät­te er sei­ne Arbeit als Pro­vin­zi­al nicht so gut machen kön­nen. Er hat die Din­ge gut abge­wo­gen, hat zuge­hört. Er war ein nach­denk­li­cher Mensch, der nie­man­den in Schub­la­den gesteckt hat, in kei­ner Wei­se pola­ri­sie­rend. Sein Ansatz für Ver­än­de­rung war immer: Ich will es vor­le­ben, durch mei­ne Hal­tung etwas ins Posi­ti­ve wenden.

Die Ent­schei­dun­gen, die er in der Lei­tung des Ordens getrof­fen hat: Waren die­se Ent­schei­dun­gen Ant­wor­ten auf sozia­le Fra­gen der Zeit?
Wie immer in Lei­tungs­äm­tern, kommt ja auch viel auf einen zu, nicht alles ging von ihm aus. Den­noch hat er wich­ti­ge Din­ge in die rich­ti­ge Bahn gebracht, etwa das Kin­der­hilfs­werk der Kapu­zi­ner, das soge­nann­te Sera­phi­sche Lie­bes­werk, aber auch Pfar­rei-Grün­dun­gen wie in Mün­chen. Vie­le sei­ner Ent­schei­dun­gen wirk­ten gut und rich­tig in die Gesell­schaft hin­ein. Es war kein Zufall, dass der Orden unter sei­ner Ver­ant­wor­tung deut­lich wuchs.

Vik­tri­zi­us Weiß hat in der glei­chen Zeit, zum Teil am glei­chen Ort, gelebt wie der hei­li­ge Bru­der Kon­rad. Gibt es zwi­schen den bei­den eine doku­men­tier­te Ver­bin­dung aus Altötting?
Ich habe den Ein­druck, dass sich die bei­den vom Typ gar nicht so unähn­lich waren. Das betrifft vor allem die Ent­schlos­sen­heit, mit der sie ihr Kapu­zinerle­ben gelebt haben. Natür­lich waren sie von der Her­kunft ver­schie­den, der eine kam aus einer Arzt­fa­mi­lie und besaß eine ent­spre­chend gute Aus­bil­dung, der ande­re war Land­wirt und Bau­er. Bei­de kamen aus Nie­der­bay­ern und sie haben gemein­sam in Alt­öt­ting gelebt, als Vik­tri­zi­us Weiß Pro­vin­zi­al war. Man weiß von Vik­tri­zi­us sicher, dass er Br. Kon­rad schätz­te, das ist doku­men­tiert. Umge­kehrt weiß man nicht, was Br. Kon­rad von sei­nem Pro­vin­zi­al hielt, aber ich den­ke, dass Wert­schät­zung und Ach­tung auf Gegen­sei­tig­keit beruht haben.

Was ver­bin­det die bei­den noch?
Bei­de haben das schlich­te Leben als Kapu­zi­ner gewählt. Sie hat­ten bei­de einen Blick, der über den All­tag hin­aus­geht, und das Tran­szen­den­te und das Heil des Men­schen in den Fokus nimmt. Bei­de Ordens­leu­te waren kei­ne Mit­läu­fer, son­dern sie leb­ten das, was sie für sich ver­stan­den hat­ten, mit aller Kraft, radi­kal und ent­schie­den. Ihr Gott­ver­trau­en war stark.

Heißt es eigent­lich Pater Vik­tri­zi­us oder Bru­der Viktrizius?
Bei uns Kapu­zi­nern ist es üblich, dass wir alle „Brü­der“ sind. Es gibt kei­nen Unter­schied zwi­schen Brü­dern mit Pries­ter­wei­he und Brü­dern mit ande­ren Beru­fun­gen. So woll­te es auch der hei­li­ge Franz von Assi­si. Für die meis­ten Men­schen, und auch für mich, das gebe ich zu, ist „Pater Vik­tri­zi­us“ gewohn­ter, denn in der dama­li­gen Zeit war die Bezeich­nung „Pater“ für einen Ordens­pries­ter üblich. Das „Bru­der Vik­tri­zi­us“ irri­tiert da etwas. Aber ich bin auch sicher: Vik­tri­zi­us Weiß war beschei­den, demü­tig und brü­der­lich auf sei­nem Weg. Er hät­te ver­mut­lich kein Pro­blem damit gehabt, wenn er mit „Bru­der Vik­tri­zi­us“ ange­spro­chen wor­den wäre.

Ist die­ser Mit­bru­der für Sie ein Vorbild?
Das ist eine schwe­re Fra­ge, denn sein Leben liegt 100 Jah­re zurück. Es war eine ande­re Zeit. Den­noch gibt es man­ches, das mir ver­traut vor­kommt und bei­spiel­haft ist, auch für mich ganz per­sön­lich. Er hat als Diö­ze­san­pries­ter mit guter Pro­mo­ti­on und Kar­rie­re­chan­cen ent­schie­den, ein ein­fa­ches Leben zu wäh­len. Das ist eine kla­re Ent­schei­dung, die er dann zu hun­dert Pro­zent gelebt hat. Er war sehr fran­zis­ka­nisch unter­wegs, kein abge­ho­be­ner Aka­de­mi­ker. Ich schät­ze ihn für sei­nen Mut, er war kon­se­quent in sei­nen Hand­lun­gen als Pro­vin­zi­al. Er hat ver­sucht, gerecht zu sein, hat sich sehr im Urteil über ande­re zurück­ge­nom­men. Er war radi­kal und mutig, ging an die Wur­zel. Da muss ich ganz per­sön­lich sagen: Ich besit­ze die­se Kon­se­quenz und Klar­heit nicht unbe­dingt, da dient er mir schon zum Vorbild.

Gibt es auch etwas, das Ihnen Schwie­rig­kei­ten bereitet?
In sei­nem Wesen gibt es da nichts. Aber natür­lich gibt es in sei­nem geist­li­chen Tage­buch schon auch Pas­sa­gen, die sind deut­lich aus einer ande­ren Zeit sind. Da muss ich mich anstren­gen, das für mich ins Hier und Heu­te zu übersetzen.

Vik­tri­zi­us Weiß war „ein ehr­wür­di­ger Die­ner Got­tes“? Was bedeu­tet das eigentlich?
Die­ser Begriff ist Teil des Selig­spre­chungs­pro­zes­ses, der zur­zeit bei ihm läuft. So ein Pro­zess ist nichts, das geplant oder gemacht wird, son­dern er star­tet im Volk Got­tes. Er star­tet durch die Ver­eh­rung einer Frau oder eines Man­nes durch die Men­schen vor Ort. In die­sem Pro­zess geht es dar­um, zu prü­fen, ob jemand zum Segen für ande­re gewor­den ist. Ob er etwas von Got­tes Güte in die­se Welt getra­gen hat. Vik­tri­zi­us Weiß war geschätzt als geist­li­cher Beglei­ter und Beicht­va­ter, er war sehr bekannt im Volk, auch der Bischof war schon zu Leb­zei­ten auf ihn auf­merk­sam gewor­den. Aus der Bevöl­ke­rung kam nach der Beer­di­gung in Vils­bi­burg der Wunsch, ihn vom Klos­ter­fried­hof zu holen und in der Kir­che bei­zu­set­zen. Das wur­de vom Bischof erlaubt und so begann der Pro­zess. Es wur­den eine his­to­ri­sche Grup­pe ein­ge­setzt, sein Leben beschrie­ben und alle Doku­men­te gesammelt.

Was ist Ziel die­ser Kommission?
Sie stellt den Tugend­grad fest. Es geht nicht dar­um, dass der Mensch kei­ne Feh­ler machen darf, son­dern dar­um, dass er sich erfolg­reich bemüht hat, Glau­be, Hoff­nung und Lie­be zu leben. Das ist ein fest­ge­leg­tes Ver­fah­ren, vie­le, die in kann­ten, wur­den befragt. So ent­steht ein Bild. Durch den Krieg wur­de die Arbeit unter­bro­chen, am Ende liegt alles beim Papst. Die­ser bestä­tig­te im Jahr 1979 Vik­tri­zi­us Weiß den soge­nann­ten „heroi­schen Tugend­grad“. Des­we­gen darf er nun „ehr­wür­di­ger Die­ner Got­tes“ genannt wer­den. Das ist alles die Vor­ar­beit für eine mög­li­che Selig- oder Heiligsprechung.

Nun braucht es ein Wunder.
So ist es. Das ist alles klar gere­gelt, mit medi­zi­ni­schen Gut­ach­ten, Pro und Con­tra. Am Ende ent­schei­det wie­der der Papst: Ist eine Selig­spre­chung nun dran? Passt der­je­ni­ge in die Zeit? Inwie­weit ist er ein Vor­bild? Bei Vik­tri­zi­us Weiß gibt es bis­her noch kein durch die­sen Pro­zess bestä­tig­tes Wunder.

Was ist eigent­lich der Unter­schied zwi­schen einem Seli­gen oder einem Heiligen?
Es braucht ein Wun­der, um eine Selig­spre­chung zu errei­chen, für eine Hei­lig­spre­chung ein wei­te­res Wun­der. Vom Pro­zess und der Vor­be­rei­tung gibt es also gar kei­nen gro­ßen Unter­schied, es geht eher um die Bekannt­heit. Ein Seli­ger hat regio­na­le Bedeu­tung und wird übli­cher­wei­se vor Ort selig­ge­spro­chen. Hei­li­ge wer­den in Rom hei­lig­ge­spro­chen und gel­ten als Vor­bil­der für die Weltkirche.

Was sind Hei­li­ge für Sie?
Hei­li­ge sind für mich Men­schen, durch die es ande­ren leich­ter wird, an Gott zu glau­ben. Sie brin­gen eine Facet­te ins Leben, in den Glau­ben. Mit ihrer Art, wie sie gelebt haben, machen sie das Christ­li­che kon­kre­ter. Men­schen stre­ben nach Glück, sie ver­su­chen das Rich­ti­ge zu tun. Die Kir­che will durch Seli­ge und Hei­li­ge Vor­bil­der auf­zei­gen, die Gott nahe sind und eine Brü­cke zu Gott sein können.

Wie bli­cken Sie auf den Selig­spre­chungs­pro­zess von Vik­tri­zi­us Weiß?
Ich habe eini­ge Berüh­rungs­punk­te zu Hei­li­gen, die mir viel bedeu­ten. Ich feie­re sie ger­ne, weil ich glau­be, dass der Glau­be eine Kon­kret­heit bekommt, wenn man sich kon­kre­te Bei­spie­le ins Leben her­ein­holt. Wir brau­chen Ori­en­tie­rung. Vik­tri­zi­us Weiß war einer, der nicht pola­ri­siert hat, der die Men­schen gese­hen hat und sehr beschei­den leb­te. Das ist für mich zeit­ge­mäß. Und damit ist er heu­te schon – auch ohne Selig­spre­chung – für mich ein Vorbild.

Das Inter­view führ­te Tobi­as Rauser

In der im August erschei­nen­den Som­mer­aus­ga­be von cap!, dem Maga­zin der Kapu­zi­ner, gibt es zum 100. Todes­tag von Vik­tri­zi­us Weiß eine gro­ße Son­der­stre­cke und vie­le wei­te­re Infor­ma­tio­nen zu Vik­tri­zi­us Weiß. 

Auf unse­rer Web­site fin­den Sie auch einen aus­führ­li­chen Lebens­lauf von Vik­tri­zi­us Weiß

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