Interview

FOTO: FRAN­ZIS­KA­NER

BR. HELMUT SCHLEGEL

wur­de 1943 in Riedlingen/Donau gebo­ren. Seit 1963 ist er Franziskaner. 

27. August 2024

„Der Weg des Gebetes führt in den Alltag“

Wie kom­me ich kon­kret ins Gebet? Was ist, wenn ich Gott nicht spü­re? Der Fran­zis­ka­ner, Pries­ter und Buch­au­tor Br. Hel­mut Schle­gel gibt im Gespräch auf kapuziner.org eini­ge kon­kre­te Tipps.

Wie hat Fran­zis­kus gebetet?
Mich spricht ein Satz an, der, wenn ich es rich­tig weiß, von Bona­ven­tura, einem der ers­ten Bio­gra­phen des hei­li­gen Fran­zis­kus, stammt. Sinn­ge­mäß: Fran­zis­kus war weni­ger ein Beten­der als viel­mehr selbst ein Gebet. Franz ver­stand dem­nach alles, was er dach­te, sag­te, leb­te, tat, als ein Sein-vor-Gott. Das war für ihn Gebet. Er fühl­te sich ein­fach ein­ge­hüllt von Gott. Paul Watz­la­wick hat ein­mal gesagt: Man kann nicht nicht kom­mu­ni­zie­ren. Auf Fran­zis­kus hin über­setzt möch­te ich sagen: Er konn­te nicht nicht beten. Mensch­sein war für ihn ein­fach ein Sein-vor-Gott.

Gibt es eine fran­zis­ka­ni­sche Tra­di­ti­on des Gebets?
Es gibt eini­ge typi­sche Gebets­for­men, die fran­zis­ka­ni­schen Ursprungs sind: Das medi­tie­ren­de Gehen des Kreuz­wegs Jesu, die Ver­eh­rung des Namens Jesu, das Beten des Son­nen­ge­sangs und ande­re. Was ihnen gemein­sam ist: Es sind sehr sin­nen­haf­te Gebetsformen.

Wie kön­nen die­se For­men Beten­de heu­te inspirieren?
Ich glau­be, dass gera­de das ganz­heit­li­che Beten – also beten mit den Füßen, beten mit Gebär­den, beten in der Schöp­fung, beten mit Zei­chen und Bil­dern – Men­schen von heu­te anspricht, weil wir ja sehr medi­al aus­ge­rich­tet sind.

Wie kom­me ich eigent­lich ins Gebet?
Nach mei­ner Erfah­rung beginnt Beten bei der Selbst­wahr­neh­mung. Also: Wie geht es mir heu­te Mor­gen? Wie neh­me ich mei­nen Kör­per wahr? Wie geht mein Atem? Wie geht es mei­ner See­le? Ist sie gut gestimmt oder sind da noch dunk­le Res­te? Dabei ist es gut, alles so sein zu las­sen, wie ich es empfinde.

Und dann?
In einem zwei­ten Schritt kann ich ver­su­chen, mich ein­mal mit den Augen Got­tes wahr­zu­neh­men. Ich brau­che dazu nichts zu sagen. Ich stel­le mir ein­fach vor, dass sehr acht­sa­me und gute Augen auf mich schau­en. Dass die­se Augen das Wert­vol­le in mir sehen, mei­ne mensch­li­che Wür­de. Eine Wür­de, die nichts damit zu tun hat, ob ich erfolg­reich oder per­fekt bin. Dass in die­sen Augen auch die Här­te und die schar­fen Kan­ten in mir weich wer­den. Das sind gewis­ser­ma­ßen „Basis-Übun­gen“ des Gebetes.

Man­che Men­schen haben es ver­lernt, zu beten. Oder sie wen­den sich an Gott und es kommt nichts. Sie ver­spü­ren eine inne­re Lee­re oder auch eine inne­re Stim­me: Das bringt doch nichts. Was sagen Sie die­sen Menschen?
Ich muss ganz ehr­lich sagen, dass ich dar­auf kei­ne fer­ti­ge Ant­wort weiß. Ich ken­ne die­ses „Nicht-Mehr-Beten-Kön­nen“ nur zu gut aus eige­ner Erfah­rung. Es gibt Zei­ten, da ist alles dun­kel in mir. Was mich trös­tet – und das sage ich auch ger­ne zu Men­schen, die die­se Erfah­rung machen – das sind die vie­len gro­ßen Bete­rin­nen und Beter, die immer wie­der von der „Nacht der See­le“ spre­chen, von der Unfä­hig­keit zu beten, von der Angst vor der Lee­re. Allen vor­an Jesus selbst, der am Kreuz sei­ne Kla­ge zum Him­mel schreit: „Mein Gott, war­um hast du mich verlassen“.

Was kann außer­dem helfen?
Mir per­sön­lich hel­fen mit­un­ter die Psal­men. Sie spa­ren kein Gefühl aus. Sie kla­gen und wet­tern. Sie zeich­nen die Welt so wie sie ist: Eine Welt von Segen und Fluch, von Freun­den und Fein­den, eine Welt, die Gär­ten kennt, aber auch Wüs­ten. Die Psal­men erin­nern mich dar­an, dass mein Glau­be durch die Wüs­te gehen muss, um erwach­sen zu wer­den. Auch Jesus hat die­se Erfah­rung gemacht: Die Wüs­te ist der Ort, wo dir fast alles genom­men wird, aber auch der Ort, wo du Gott am nächs­ten bist.

Kön­nen Sie Ihre per­sön­li­che Art des Betens in Wor­te fassen?
Ich habe mir eines der Lieb­lings­ge­be­te von Fran­zis­kus zu eigen gemacht. Am schöns­ten ist es auf Ita­lie­nisch: „Dio mio e tut­to“ – „Gott, mein Gott und mein alles“. Wenn es mir nicht danach ist, die Wor­te aus­zu­spre­chen, mache ich es ein­fach mit Gebär­den. Dio (Gott): Ich erhe­be mei­ne Hän­de und Arme zum Him­mel und ver­wei­le. Mio (mein): Ich lege mei­ne Hän­de auf das Herz, neh­me mich wahr und ver­wei­le. E tut­to: Ich brei­te mei­ne Arme in Kreuz­form aus und füh­le mich den Geschöp­fen und der Welt verbunden.

Wie ist Gebet mit All­tag verbunden?
Ich lie­be ein Wort aus dem Zen-Bud­dhis­mus: »Vor der Erleuch­tung: Holz hacken und Was­ser tra­gen. Nach der Erleuch­tung: Holz hacken und Was­ser tra­gen.« Beten ist dem­nach ein Zwi­schen­raum. Der Weg des Gebe­tes führt in den All­tag. Ich möch­te ver­su­chen, mein all­täg­li­ches Leben mit den Augen Got­tes zu sehen. Manch­mal ent­de­cke ich, dass unter der grau­en Asche des Bana­len doch eine Glut brennt. Und wenn ich die­se Glut zulas­se, die­se Sehn­sucht, viel­leicht auch den Schmerz, dass ich weit weg bin von Gott, dann fängt in mei­nem Inne­ren etwas an zu heilen.

 

Zur Per­son:
Br. Hel­mut Schle­gel wur­de 1943 in Riedlingen/Donau gebo­ren. 1963 trat er in den Fran­zis­ka­ner­or­den ein, 1969 wur­de er zum Pries­ter geweiht. Br. Hel­mut arbei­te­te unter ande­rem als Kaplan und Jugend­pfar­rer, als Lei­ter des Exer­zi­ti­en- und Bil­dungs­hau­ses Hof­heim und als Lei­ter des Zen­trums für christ­li­che Medi­ta­ti­on und Spi­ri­tua­li­tät. Er war eini­ge Jah­re Pro­vin­zi­al der Thü­rin­gi­schen Fran­zis­ka­ner­pro­vinz und ist außer­dem als Buch- und Rund­funk­au­tor sowie Tex­ter im Bereich neu­es geist­li­ches Lied bekannt.

Das Inter­view führ­te Br. Tho­mas Dien­berg und ist zuerst in cap!, dem Maga­zin der Kapu­zi­ner erschienen. 

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